Cross Selling – reizvoll, aber steinig

Von Michael Sturhan

In vielen Branchen ist die Differenzierung zum Wettbewerb nur schwer möglich. Folge ist oft ein harter Preiswettbewerb. Mit welcher Strategie lassen sich schrumpfende Erträge kompensieren? Eine Option ist intelligent umgesetztes Cross Selling. Die Umsetzung ist nicht trivial.

Welche Chancen bietet Cross Selling? Cross Selling ermöglicht, das Poten-zial der schon belieferten Kunden deutlich stärker als bisher auszuschöpfen. Und dies bei einem grundsätzlich überschaubaren Ak-quiseaufwand, weil die Kunden schon be-kannt sind und die oft relativ hohe Erstein-trittsschwelle nicht mehr überschritten wer-den muss. Im Idealfall sind sogar bereits be-kannte Ansprechpartner auch verantwort-lich für den Einkauf der neuen Produkte. Sollte dies nicht der Fall sein, so besteht zumindest eine gute Chance, dass die bereits bestehenden Kontaktpersonen eine positive Empfehlung zum Entscheider für Cross-Sell-ing-Produkte aussprechen können.
Häufig ergeben sich durch den Verkauf zusätzlicher Artikel höhere durchschnittliche Umsätze pro Bestellung bzw. Auslieferung, so dass sich die Rentabilität des einzenen Auftrags spürbar verbessert.
Häufig sind auch zusätzlich bestellte Pro-dukte weniger preissensitiv als regelmäßig benötigte „Brotsorten“, so dass über die höhere Marge eine spürbare Ertragsverbesserung eintritt.

Welche Vorteile hat der Kunde?
Elementares Thema im Vertrieb ist ja immer, den Nutzen für den Kunden herauszuarbeiten. Ein immer wichtigeres Aspekt bei der Optimierung von Beschaffungsprozessen ist die Neigung zur Reduzierung der Lieferantenanzahl, um den Beschaffungsaufwand pro bestellter Position zu verringern.
Tipp: Lassen Sie Ihre Verkäufer zusammen mit dem Kunden im Gespräch vor Ort eine Modellrechnung erstellen, welcher Zeit- und damit Kostenvorteil für ihn entsteht, wenn er statt bisher bei zehn nun nur noch bei fünf Lieferanten bestellt!
Der Kunde hat ja bisher bei Ihnen schon Produkte gekauft und war damit zufrieden. Deshalb ist ein weiterer Vorteil für ihn, dass er das bestehende Vertrauen in die Lieferzuverlässigkeit bei den bisher bezogenen Produkten auch auf die neuen Produkte übertragen kann. Das ist für einen Einkäufer ein wichtiger Faktor zum Abbau von Unsicherheit! Auch reduzieren höhere Auftragswerte für den Kunden möglicherweise Nebenkosten z.B. für Versand, ein weiterer Ersparnisfaktor. Letztlich steigt die Bedeutung des Kunden beim Lieferanten, ein nicht unwichtiger Punkt im Rahmen von Beschaffungsstrategien!

Welche Fragen sollten Sie stellen?
Cross Selling bietet aber nicht nur Chancen, sondern auch erhebliche Risiken! Es gibt viele Praxisbeispiele dafür, wo es nicht gelang, die oben dargestellten Synergiechancen zu realisieren. Zum Beispiel, wenn Kunden den oben dargestellten Nutzen für sich nicht erkennen konnten. Sie sehen das Unternehmen nicht als kompetent genug an, diese neue Produktreihe vertreiben zu können. Um mit Cross Selling tatsächlich zum Erfolg zu kommen, sollten Sie sich im Vorfeld mit folgenden sieben Themenfeldern intensiv befassen:

1. Strategie
Wie ist Ihre strategische Ausrichtung bzgl. der Cross Selling-Segmente? Wie wollen Sie sich in den Marktsegmenten der neuen Produktreihen positionieren? Wie ändert sich dadurch Ihre Gesamtpositionierung? Werden Sie zum Beispiel vom Lieferanten für ein bestimmtes Spezialsegment zu einem Partner für die Deckung eines sehr umfassenden Bedarfs?
Brechen Sie die Ziele pro Produktsegment auch auf Kunden herunter? Auch auf den einzelnen Verkäufer?
Welche Zielgruppen sollen angesprochen werden? Welches sind die relevanten Ansprechpartner beim Kunden? Sind dies die bereits bekannten oder handelt es sich um neue Ansprechpartner? Wenn es sich um neue Ansprechpartner handelt: Können Sie tatsächlich Ihre Verbindungen zu bisherigen Ansprechpartnern realistisch nutzen?

2. Kundenbedürfnisse
Welchen Nutzen können Kunden aus Ihrer Cross Selling-Strategie ziehen? Bitte berücksichtigen Sie dabei immer, dass oft nicht der vermeintlich für das Gesamtunternehmen des Kunden entstehende Nutzen Relevanz hat, sondern dass persönliche Nutzen der einzelnen Ansprechpartner dominieren können! Warum sollte eigentlich ein neuer Ansprechpartner, der beim Kunden für Ihr Zusatzsegment zuständig ist, begeistert sein, sich mit Ihnen als neuem Lieferanten zu befassen? Er hat doch bereits Partner, die er kennt und mit denen er zufrieden ist!

3. Produktmanagement
Welche Produkte soll Ihr neues Cross Selling-Sortiment enthalten? Wie sieht die strategische Ausrichtung Ihrer Lieferanten aus? Werden diese Sie in Ihren Umsetzungsbemühungen ausreichend unterstützen? Oder sieht der Lieferant eher eine Gefährdung seiner bisherigen Vertriebskanäle?
Wie sieht Ihr  Produktmanagement aus? Arbeiten Sie mit „Produktpaten“? Sehr häufig scheitert Cross Selling daran, dass der etablierte Verkauf mit dem neuen Produkt überfordert ist. Er braucht jemanden, der ihn fachlich schult, der bei Spezialfragen spontan helfen kann, der aber auch bereit steht, in der Kommunikation zum Kunden zu unterstützen. Dazu gehören auch gemeinsame Kundenbesuche.
Bei dynamischen Produktmanagern verselbständigt sich dann manchmal dieser Prozess. Er kümmert sich so intensiv um den Kunden, dass der eigentliche Verkäufer immer mehr außen vor bleibt und gar nicht mehr genau weiß, was eigentlich bei seinem Kunden der aktuelle Stand der Dinge ist.
Wie lösen Sie solche Probleme der Parallel-Betreuung? Kann eine ggf. sogar schädliche Konkurrenzsituation entstehen? Berücksichtigen Sie, dass der Außendienst wenig motiviert wird, sich künftig selbst um Cross-Selling-Bedarfe zu kümmern, wenn der Produktmanager ihm zu viel abnimmt. Auch in den Augen des Kunden entsteht eventuell der Eindruck, dass er für dieses Spezialgebiet den eigentlichen Außendienst nicht zu fragen braucht.

4. Vertriebsorganisation
Wer spricht wann welchen Kunden auf welches Produkt in welcher Form an? Wer fasst nach?
Wenn der Innendienst Akquise-Aufgaben erhält: Wie sieht das in der Praxis aus? Durch laufende eingehende Anrufe kommt der Innendienst nicht dazu bzw. kann sich auf ausgehende Gespräche nicht konzentrieren.
Tipp: Organisieren Sie für aktives Verkaufen durch den Innendienst feste Zeitfenster! Stellen Sie den Verkäufern einen abgetrennten ruhigen Raum für ausgehende Telefonate zur Verfügung!
Klären Sie, wo das beim Kunden für das Cross Selling Sortiment abgefragte Potenzial  dokumentiert wird!
Sehr hilfreich im Cross Selling ist übrigens die Nutzung von geeigneten EDV-Systemen zur Kundenbetreuung. Damit können Sie „Kampagnen“ organisieren und auch umfassende Aufgaben für verschiedene Mitarbeiter bezogen auf genau definierte Kunden hinterlegen.
Tipp: Überzeugen Sie Ihren Außendienst, dass er bei seiner Besuchsplanung im Kundenbetreuungssystem für jeden Termin das jeweilige Gesprächsziel hinterlegt!
Vorteil: Sie gewährleisten, dass jeder Kunde auf das Cross-Selling-Sortiment angesprochen wird! Gleichermaßen kann natürlich auch immer nachvollzogen werden, welcher Verkäufer in der Abarbeitung nachlässig war.

5. Vertriebscontrolling
Können Sie zumindest monatlich ermitteln, was der einzelne Kunde in welcher Produktgruppe gekauft hat? Haben alle Verkäufer kompletten Zugriff auf diese Daten?
Ermitteln Sie, ob sich durch Cross Selling tatsächlich der durchschnittliche Auftragswert erhöht! Muss die Bestellung der zusätzlichen Produkte in extra Lieferungen ausgeführt werden, mag sich der erhoffte kalkulatorische Vorteil deutlich reduzieren!

6. Motivation
Was motiviert Verkäufer, sich für Cross Selling einzusetzen? Welchen persönlichen Nutzen hat der einzelne Mitarbeiter davon?
Tipp: Statt einer reinen Motivation über Geld reicht oft eine auch für den Innendienst wirksame Zielvereinbarung, bezogen auf die Cross-Selling-Sortimente! Erforderlich ist allerdings eine regelmäßige Überwachung der Zielerfüllung.
Welche Erfahrungen haben Ihre Mitarbeiter in der Vergangenheit mit neuen Produktsortimenten gemacht?

7. Personalentwicklung/Schulung
Cross Selling heißt immer, dass sich Mitarbeiter im Vertrieb mit neuen Produkten befassen müssen.
Schulungsmaßnahmen gilt es professionell zu organisieren. Idealerweise werden diese vom Produktmanager durchgeführt.
Natürlich gilt auch hier die allgemeine Frage, wie gut Ihre Verkäufer in punkto Nutzenargumentation sind? Hierbei geht es dann nicht nur um den Nutzen des neuen Cross-Selling-Produkts, sondern natürlich auch um den Nutzen, den der Kunden im Gesamteinkauf haben könnte (schlankere Abläufe durch die Reduzierung der Lieferantenzahl).
Informieren Sie über Wettbewerbsprodukte und stellen Sie Ihre Produkte in Vergleichslisten gegenüber!
Wie halten Sie den Prozess in Gang?
Tipp: Die Erfahrung zeigt, dass sich die meisten Verkäufer mit neuen Sortimenten schwer tun. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Mitarbeiter immer wieder mit „Erfolgsstories“ von Kollegen versorgt werden!

Fazit: Cross Selling bietet viele Chancen, ist aber in der Umsetzung steinig!
Planen Sie sorgfältig, räumen Sie Ihren Verkäufer so viele Steine wie möglich aus dem Weg! Erwarten Sie nicht, dass jeder Mitarbeiter automatisch begeistert davon ist, neue Produkte verkaufen „zu dürfen“!

Definition Cross Selling
Der Verkauf von sich ergänzenden Dienstleistungen oder Produkten an bestehende Kunden. Letztlich handelt es sich um eine ganzheitliche Verkaufsstrategie, bei der der Bedarf des Kunden so umfassend wie möglich erfasst und mit eigenen Produkten abgedeckt werden soll. Unterscheiden lassen sich zwei Ausprägungen:

  1. Aufnahme neuer Produkte (oder Dienstleistungen) ins Sortiment (Diversifikation).
  2. Verkauf bereits vorhandener Produkte, die bisher ausschließlich an Zielgruppe A vermarktet wurden, jetzt auch an Zielgruppe B.

Michael Sturhan
(51) 20 Jahre als Marketing-, Vertrieb- und Geschäftsleiter im Mittelstand, ehe er Unternehmensberater mit Kernkompetenz Vertrieb bei Prime$ales wurde.

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