Kennen Sie das brennende Kundenproblem wirklich?

Von Michael Sturhan

Wir verkaufen nicht mehr die Bohrmaschine, sondern das Loch in der Wand. Doch was tun Sie, wenn der Kunde objektiv gesehen zwar ein Loch in der Wand gebrauchen könnte, subjektiv für sich aber ganz andere Baustellen priorisiert hat? Dieser Beitrag zeigt, warum manchmal die alleinige Orientierung am Kundennutzen trotzdem nicht zum Auftrag führt, und wie Sie mit dieser Situation künftig umgehen können.Vertriebsleiter L. hatte ein Problem. Zwar liefen die Geschäfte gut, dies aber eher bedingt durch die allgemein gute Konjunktur. Von bekannten Kunden kamen ausreichend Anfragen. Es wurde aber nahezu komplett reaktiv verkauft. Denn der Anteil Neugeschäft aus aktiver Akquise war verschwindend gering.

Das Unternehmen handelt mit technischen Produkten. Verkäufer und auch die Ansprechpartner beim Kunden sind fachlich kompetent. Häufig handelt es sich um Ingenieure.

Nahezu im Monatsrhythmus wurden den Kunden Produktneuheiten aus den verschiedenen Sortimentsbereichen vorgestellt. Dies auch immer wieder in Form von Aktionen seitens der beteiligten Hersteller.

Bis vor zwei Jahren haben die Verkäufer noch ausschließlich mit Produktvorteilen argumentiert: „Unser Produkt A hat in der Kategorie B bessere Werte als das Wettbewerbsprodukt C!“.

Vertriebsleiter L. erkannte, dass erforderlich war, für jedes Produkt den jeweiligen Kundennutzen zu erarbeiten und mit den Verkäufern zu trainieren, diesen Nutzen gut zu argumentieren.

»Wir verkaufen nicht mehr die Bohrmaschine, sondern das Loch in der Wand!«

Entsprechend dem bekannten Spruch „Wir verkaufen nicht mehr die Bohrmaschine, sondern das Loch in der Wand!“.

Der Erfolg der Maßnahme war allerdings dennoch eher bescheiden.

Die Ursachenanalyse auch mit Unterstützung eines externen Beraters ergab, dass gerade die Fokussierung auf einzelne Produkte im Verkaufsgespräch selten zum zeitnahen Verkauf führte.

Der Kunde hat zwar bestätigt, dass er den ihm gegenüber argumentierten Produktnutzen nachvollziehen kann. Gekauft hat er das Produkt aber trotzdem nicht. Warum?

Die Antwort ist, dass er subjektiv für sich aktuell kein brennendes Problem sieht! Er hat gerade ganz andere Baustellen, die ihn beschäftigen!

Sie kennen die Situation selbst. Sie sitzen im Büro und beschäftigen sich intensiv mit einem für Sie wichtigen Thema. Da klingelt das Telefon und eine freundliche Stimme macht Ihnen ein eigentlich nicht abzuschlagendes Angebot. Normalerweise wäre es wirklich interessant. Aber Sie würgen den Anrufer trotzdem knapp ab. Weil Sie gerade den Kopf nicht frei haben für ein anderes Thema.

OK, jetzt kennen wir ein wichtiges Vertriebsproblem. Aber wie gehen wir damit um? Vor allem: Inwieweit sollten wir unsere Strategie, unsere Strukturen und Abläufe darauf ausrichten?

Denn: Jeder Kunde hat ganz individuelle brennende Probleme. Und auch innerhalb eines Kundenunternehmens mag es mehrere Mitarbeiter des so genannten „Buying Centers“ geben, die ganz unterschiedliche brennende Probleme haben.

Und diese Probleme können sich zudem von Tag zu Tag verändern.

Woher sollen wir also wissen, welches Problem jeder einzelne Kunde heute schon wieder hat?

Dieses Thema wird in der Fachliteratur auch unter der Überschrift „Engpass-orientierte Konzepte“ behandelt. Danach entwickelt sich ein Unternehmen solange erfolgreich, bis es durch einen wie auch immer gearteten Engpass gebremst wird.

Der Idealzustand: Brennendste Probleme zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort zu adressieren, ist die Voraussetzung dafür, dass die Kunden zu Ihnen kommen und nicht Sie erfolglos und frustriert den Kunden hinterherlaufen!

Wie gehen wir das Thema jetzt an?

1. Mission und Positionierung überarbeiten!

Haben Sie sich intensiv mit Ihrer „Mission“ befasst?

Die Firma UVEX sieht sich weniger als Hersteller von Helmen und anderer Schutzbekleidung. Ihre gelebte Mission ist „Protecting People“.

Wollen Sie also weiter Produkte produzieren und/oder mit ihnen handeln? Oder wollen Sie heute und in Zukunft Kundenprobleme lösen bzw. Kundenengpässe beheben?

Dieser Wandel von einer produktionsorientierten zu einer kundenorientierten Sicht muss sich durch Ihr gesamtes Unternehmen ziehen!  Es ist nicht mehr eine Frage von Technologie, sondern eine Frage der Kultur.

Und es mag dazu führen, dass Sie vielleicht in fünf oder zehn Jahren völlig andere Produkte und Dienstleistungen anbieten als heute. Weil Sie damit einen dann aktuellen Engpass bei Ihren Kunden beheben können. Sind Sie dafür offen?

Wenn Sie schonungslos ehrlich mit sich selbst sind, müssen Sie dafür offen sein!

Denn Produkte anzubieten, für die es keine Kunden mit Engpass gibt, führt unausweichlich in den in vielen Branchen mörderischen Preiswettbewerb.

Finden Sie eine Positionierung, deren Kommunikation die Wahrnehmung des Kunden so ändert, dass er angesichts seines brennenden Problems Ihre Lösung seines Engpasses frisst!

2. Zielgruppen neu segmentieren!

Nach welchen Kriterien unterscheiden Sie bisher Ihre Zielgruppen? Nach Branche, nach Mitarbeiterzahl?

Inwieweit unterscheiden sich Ihre jetzigen Vorgehensweisen in Marketing und Vertrieb nach den einzelnen Zielgruppen?

Prüfen Sie, ob Sie nicht völlig neue Kriterien zur Zielgruppendefinition benötigen, die sich nach den Bedürfnissen, also letztlich den Engpassfaktoren, dem brennenden Problem, orientieren!

Ihre Zielgruppensegmente werden dadurch deutlich kleiner!

Ermitteln Sie also, welche Probleme Ihre Kunden aktuell am meisten beschäftigen! Aber bitte nicht mit einer schriftlichen Befragung!

Sondern rücken Sie ganz eng an Ihre Kunden heran und fragen Sie systematisch und dauerhaft nach Problemen, Wünschen, Bedürfnissen und Träumen!

3. Zuhören!

Kundenorientierung kann man nicht anordnen. Sie funktioniert nicht, wenn in Ihrem Haus nicht Mitarbeiterorientierung gelebt wird! Fangen Sie bei sich selbst an! Kennen Sie die Bedürfnisse, die Wünsche, die Träume Ihrer Mitarbeiter?

Wie sollen Sie erwarten können, dass der Verkäufer sich in den einzelnen Kunden hineindenkt, wenn er das im eigenen Unternehmen nicht erlebt?

4. Lösungsorientiertes Verkaufen!

Prüfen Sie, ob in Ihrem Unternehmen kurzfristige Aktionen, um bestimmte Produkte in den Markt zu drücken, (noch) sinnvoll sind!

Oder ob Sie nicht gemeinsam mit Ihren Verkäufern trainieren, kundenbezogene Engpässe zu erkennen und hierfür Lösungen zu schaffen!

5. Mit aktiver Netzwerkarbeit Kunden verblüffen!

Der Kunde wird Ihnen dann auch von Problemen berichten, die Sie selbst nicht lösen können. Wenn Sie aber über ein gepflegtes Netzwerk von Geschäftspartnern verfügen, dann können Sie den Kunden verblüffen, indem Sie sich auch aktiv um solche Themen kümmern. Indem Sie ihm einen geeigneten Partner vermitteln.

Übrigens eine klassische Win-Win-Win-Strategie: Ihr Kunde profitiert, Ihr Netzwerkpartner profitiert und auch Sie profitieren in zweierlei Weise. Und zwar, weil Sie einerseits in den Augen des Kunden wachsen. Und weil sich andererseits auch Ihr Netzwerkpartner für Sie stark machen wird.

Vertriebsleiter L. hat genau diese Schritte erst im Kreis der Geschäftsführung, dann mit seinen Mitarbeitern abgearbeitet.

Mehr und mehr werden jetzt seine Verkäufer nicht mehr als Verkäufer sondern als Problemlöser, ja zum Teil fast als Unternehmensberater wahrgenommen. Sie haben seitens ihrer Kunden deutlich an Wertschätzung gewinnen können.

Und im Neukundengeschäft zeigen sich erstaunliche Erfolge, weil Kunden bereits in den Erstkontakten spüren, dass hier nicht jemand unbedingt etwas verkaufen will, sondern sich erst einmal für mich als Mensch und meine Sorgen und Nöte interessiert.  

Michael Sturhan
(52) 20 Jahre als Marketing-, Vertrieb- und Geschäftsleiter im Mittelstand, jetzt Unternehmensberater für Vertrieb bei Prime$ales. sturhan@primesales.de